Die mündige Schule

Ein Gespräch mit Matthias Strolz, zur Zeit des Interviews Bildungssprecher der NEOS.

Foto: Reinhard Kraus

Vergangenes Jahr legten die NEOS ein 12-Punkte-Programm für eine umfassende Schulautonomie in Österreich vor. Einige der Eckpunkte lauteten: Unter Einhaltung von Qualitätszielen solle allen Schulen möglichst bald volle pädagogische, finanzielle und personelle Autonomie zugesprochen werden. Als daraus resultierende Ziele: eine freie Schulwahl ohne Schulgeld und letztlich die volle Finanzierung aller freien Schulen mit Öffentlichkeits-recht. Rainer Wisiak hat Matthias Strolz – Bildungssprecher wie auch Klubobmann der NEOS  und Herausgeber des Buches „Die mündige Schule“ – zu den aktuellen wie auch weiteren Bildungsplänen der NEOS befragt.

Herr Strolz, jeder Klubobmann hat sozusagen sein „Lieblingskind“. Wie ist es gekommen, dass Sie sich für das Thema „Bildung“ engagieren?

Nun, zum einen liegt es an meiner Biografie, die immer stark mit Bildung zu tun hatte: ich war Schulsprecher, Landesschulsprecher, ÖH-Vorsitzender – das heißt, Bildungspolitik hat mich immer zutiefst interessiert. Und da habe ich über die Jahre hinweg eben auch viel erlebt, was nicht nach meinen Vorstellungen läuft. Insofern war mir klar, dass – sollte ich in eine politische Aktivität gehen – ich mich sehr prominent um die Bildung kümmern werde, weil da läuft vieles daneben.

Spielt es da auch eine Rolle, dass Sie drei Töchter haben, die bald alle schulpflichtig sind?

Ja, natürlich. Als Vater, als Elternteil ist man ja über Jahre, wahrscheinlich sogar über zwei Jahrzehnte hinweg mit der Bildungsfrage unmittelbar auf tagtäglicher Basis konfrontiert. Zum anderen hat mein Engagement aber auch ganz zentral mit dem Menschenbild unserer Bewegung zu tun. NEOS ist eine wertebasierte Bürger- und Bürgerinnen-Bewegung und drei unserer Kernwerte lauten: Eigenverantwortung, Freiheitsliebe, Nachhaltigkeit. Dass der Mensch frei und gleich an Rechten und Würde geboren ist, funktioniert in Österreich – im Gegensatz zu anderen Ländern auf diesem Planeten – an und für sich gut. Und dann geht es um die Entfaltung des Menschen, und da ist unser Menschenbild, unser Weltbild: Bildung ist der Schlüssel zur Selbstermächtigung des Menschen, zur Freiheit des Menschen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Der junge Mensch braucht Wurzeln und Flügel, und ich habe das Gefühl, dass für die Wurzeln die Familien zuständig sind – und für die Flügel schon sehr stark das Gemeinwesen. Bildung ist öffentliche Sache. Das ist ein klares Bekenntnis von uns, ebenso, dass ein Bildungssystem einfach auf der Höhe der Zeit sein muss – und das ist es in Österreich nicht, wenn wir beispielsweise zehntausend 15jährige Menschen pro Jahr verlieren, die uns sagen: Mich kriegts nie mehr wieder!

Sie meinen die mit dem Fachbegriff als „Neets“ (Not in employment, education or training) bezeichneten Jugendlichen?

Ja, die haben wir traumatisiert, die machen keine Lehre, keine Ausbildung, keine weiterführende Schule, sondern die sind irgendwo verschwunden und tauchen dann als Dauerkunden des AMS wieder auf. Da kann doch niemand sagen: das läuft gut! Und da brauchen wir Bewegung, da brauchen wir Erneuerung.

Sie sind von Beruf systemischer Organisations-Entwickler?

Ja, ich bin mit meinem Unternehmen 12 Jahre in diesem Bereich unterwegs gewesen.

Menschen, die hören, was Sie sagen und lesen, was Sie schreiben, bezeichnen Sie gerne als erfrischenden Querdenker im Bildungsbereich – eben weil Sie aus einem anderen beruflichen Umfeld kommen. Oft hat man in Österreich das Gefühl, dass die den Bildungsbereich gestaltenden Menschen sich in diesem System hochgearbeitet haben und dann kaum die Fähigkeit haben, in Alternativen dazu zu denken. Einstein meinte einmal, man könne Probleme nie mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Also, kann jemand, der das System 30 Jahre lang mitgetragen hat, da Wesentliches zur Veränderung beitragen?

Das würde ich nicht ausschließen, nur ist es nicht der wahrscheinlichste Fall. Das ist zum Beispiel jetzt meine Kritik an diesem neuen Papier der ExpertInnengruppe zur Schulautonomie. Die besteht vor allem aus Leuten aus der Schulbürokratie – und dann ist es natürlich schon so, wie wenn man die Frösche fragt, ob man den Sumpf trockenlegen soll. Die werden dann nicht mit einem großen „Ja“ antworten. Und wenn ich jetzt die Schulbürokratie frage, wie man die Schulautonomie organisieren soll, dann kommen die mit so sensationellen Ansätzen wie: Alle Lehrer zu den Landeshauptleuten! Das hat ja nichts mit Schulautonomie zu tun. In ihrem Papier zur Schulautonomie waren diese Leute auf den ersten 20 Seiten erstaunlich scharf in ihrer Analyse des Bestehenden, aber wenn es dann um die Umsetzung geht, merkst du ihre Befangenheit.

Da wäre es dann für das Bildungssystem schon sehr wichtig, wenn Leute mit sachlicher Leidenschaft – das halte ich für ganz wichtig – und mitunter auch jene mit einem Außenblick ausgestatteten hinein kämen.

Ich glaube aber auch, dass es im System Leute gibt, die sich wirklich viel Kritikfähigkeit erhalten haben. Und letztlich bleibt dann die Frage, wie sehr du dich als Minister oder Ministerin öffnest. Als ich zum Beispiel vor gut einem Jahr der Ministerin unsere Pläne zur Schulautonomie vorgelegt habe, hat sie gesagt: „Das ist Utopia, was Sie hier fordern, Herr Strolz!“ Ich habe das aber jeden Monat zwei Mal wiederholt, immer, wenn wir uns getroffen haben, und im Jänner hat sie dann gesagt: „Jetzt fliegen wir in die Niederlande!“ Mit den Bildungssprechern aller Parteien, um uns dort die Umsetzung der Schulautonomie anzuschauen. Das hat sie selbst in die Hand genommen.

Das ist von ihr ausgegangen?

Das ist von ihr ausgegangen. Ja, also, man muss auf der einen Seite halt lästig bleiben und auf der anderen Seite muss man als Spitzenpolitiker auch Offenheit bewahren. Das ist nicht so einfach, wenn du jeden Tag zugeschüttet wirst mit Ratschlägen, mit Wünschen, mit Kritik oder mit Verachtung. Das hat natürlich viele einen Panzer wachsen und nicht mehr aufmachen lassen. Und da bin ich ein Fan von Otto Scharmer, einem Soziologen am MIT in Boston, der der Frage nachgegangen ist: Wie kommt das Neue in die Welt? In seinem Buch „Theorie U“, das weltweit große Beachtung gefunden hat, beschreibt er, dass es vor allem um „open mind, open heart, open will“ geht. Dass du deinen Geist offen halten solltest, wenn du etwas Neues in die Welt bringen willst, dass du ein Stück weit auch dein Herz und dein emotionales Wesen offen halten solltest, um dich einlassen zu können, und dass du ein Stück weit auch einen offenen Willen haben musst. Das beißt sich natürlich mit dogmatisch-ideologischen Politikern, die eh immer schon alles gewusst haben, weil ihnen die Ideologie alles vorgibt. Also: Ich halte es für wichtig, einerseits willenlos offen zu sein und andererseits klare Ziele zu haben. Das ist für einen Abendländer schwer zu verstehen, das ist wie eine Ambivalenz, das macht ein Spannungsfeld auf.

Um auf das vorher gefallene Wort „lästig“ zurückzukommen. Haben Sie das Gefühl, wenn man nur lästig genug ist, dann kommt Bewegung ins Bildungsministerium?

So langsam. Das Thema „Schulautonomie“ ist ein schönes Beispiel dafür. Vor einem Jahr waren die NEOS die einzigen, die dieses Thema wirklich massiv eingefordert haben. Für die anderen Parteien war es ein Randthema, so nach dem Motto: Ja eh.

Wir haben innerhalb eines Jahres mit einem sehr zielgerichteten Ansatz und mit einer zusätzlichen überparteilichen Schiene, die wir ausgekoppelt haben (Anm.: „Talente blühen“), mit Allianzen mit  anderen Initiativen wie „Bildung grenzenlos“, „Neustart Schule“ oder „Jedes Kind“, mit Veranstaltungen, mit Pressekonferenzen, mit Büchern oder mit einer Tour durch ganz Österreich so viel Druck erzeugt, dass die Regierung jetzt an dem Thema nicht mehr vorbei kommt und sich bis zum 17. November die Pflicht gegeben hat, ein eigenes Konzept auf den Tisch zu legen. Ob das gut wird, im Sinne unseres Autonomieverständnisses, das ist noch offen, aber wir haben zumindest das Thema zum Top-Thema der Regierung gemacht. Auch andere Beispiele zeigen, dass, ist man nur lästig genug, die Ministerin Trippelschritte in unsere Richtung macht – aber natürlich geht es mir noch zu wenig weit. Was ich zur Zeit lernen muss: Geduld muss ich kultivieren!

Da komme ich jetzt zurück auf eines meiner Leitbilder: PolitikerInnen sind Gärtner des Lebens – sie kultivieren soziale Felder. Und jeder Gärtner wird Geduld brauchen, weil Ungeduld im Garten tut niemals gut. Und wie beim Garten musst du in der Politik dranbleiben, du kannst nicht sagen: Jetzt gründe ich eine Partei und nach zwei Jahren habe ich keinen Spaß mehr daran – ich bin ja nicht der Stronach – sondern das ist wie ein Kind, und da habe ich schon den Anspruch, dass ich dabei bleibe. Und so ist es nicht nur bei der Partei, sondern so ist es auch bei den Themen: du musst dranbleiben, du musst draufbleiben – und du musst auch lästig bleiben. Und ich werde das Thema „mündige Schule“ so lange treiben, so lange ich auf zwei Füßen stehe, als Politiker, als Vater, wie auch immer. Ich werde da nicht aufhören, weil ich es als so zentral erachte. Wer mündige Menschen will, braucht eine mündige Schule!

Auf ihrer Homepage nennen Sie auch ein anderes Leitbild: Politiker sollen Ingenieure sein, die Landebahnen für die Zukunft bauen! Jetzt könnte man sagen: Landebahnen sind auch Startbahnen, also Startbahnen in die Zukunft. Wenn man jetzt auf dem Schulautonomie-Kuchen nicht nur die Streusel ein wenig anders arrangieren will, sondern einen ganz anderen Kuchen kreieren will – Schulautonomie anders gedacht, weiter gedacht, eine Schulautonomie, die wirklich in die Zukunft abheben kann – wie würde eine solche Schulautonomie aussehen?

Ich bleibe bei der Landebahn, weil ich glaube, das wird kommen. Erstens tingle ich von einem Land ins andere durch Europa und sehe, dass die Schulautonomie in ganz vielen Ländern Europas Einzug gehalten hat – und Österreich ist hier ein Nachzügler. Das heißt, was uns bevorsteht, ist die größte Bildungsreform seit hundert Jahren, seit den Reformen Otto Glöckels, da bin ich mir sicher. Die Zukunft wird kommen, die Frage ist: Wie gut kann sie aufsetzen? Wir haben jetzt über Jahrzehnte versucht, da von oben Reformen aufzupfropfen, alles mehr schlecht als recht. Nun, was verstehen die NEOS unter Autonomie?

Wir vertehen darunter, dass eine dreifache Autonomie gewährleistet sein muss. Zum einen: die pädagogische, das heißt: den Lehrer, die Lehrerin als Experten / Expertin wertschätzen und ihnen Freiheit und Verantwortung zu geben. Pädagogische Autonomie innerhalb eines Qualitätsrahmens, den die Polituik vorgibt, beispielsweise Mittlere Reife oder Bildungsstandards. Aber innerhalb dieses Qualitätsrahmens herrscht größte Freiheit bezüglich unterschiedlicher pädagogischer und didaktischer Konzepte und Überzeugungen.

Zweiter Punkt: finanzielle Autonomie. Wir kehren das System völlig um: das Geld folgt dem Schüler, der Schülerin, das heißt, es gibt einen Bildungs-Scheck an die Eltern, den diese an einer Schule einlösen und die Schule bekommt dann das Geld pro Kopf.

Was bedeutet?

Wenn das Geld den Kindern folgt und die Eltern, später dann die Jugendlichen die Schule mitwählen, bist du plötzlich in einem anderen Dialog, auf einer anderen Augenhöhe mit der Schule. Und drittens: die personelle Freiheit. Die Lehrer sind aus unserer Sicht an den Schulen anzustellen. Weg mit dem Dienstrecht, her mit einem Rahmenkollektiv-Vertrag.

Stichwort: freie Schulen. Im Mai 2014 haben die NEOS einen Entschließungsantrag im Parlament eingebracht, mit dem Inhalt, dass hinsichtlich der Finanzierung die nicht konfessionellen freien Schulen den konfessionellen Schulen gleichgestellt werden sollen. Der Antrag ist, glaube ich, niedergeschmettert worden. Heißt das konkret: das ist jetzt abgehakt?

Nein, wir bleiben an diesem Thema dran. Und zwar NEOS gemeinsam mit den Grünen, die hier gleich ticken wie wir. Im Moment ergeht als Unterstützung von Seiten des Staates ein lächerlicher Betrag an die nicht konfessionellen freien Schulen. Das ist ein permanenter Schlag ins Gesicht dieser Pädagogen, die dort arbeiten. Wir haben dort besonders engagierte Schulleitungen, besonders engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die in der Regel weniger kriegen als im öffentlichen Schulsystem, besonders engagierte Eltern – und die Republik sagt: Dann zahlts euch euren Schmarrn selbst! Das ist organisierte Vernichtung von Engagement – und zwar vom Staat selbst. Der Staat vernichtet strukturiert und verlässlich tagtäglich jahrein jahraus bürgerliches zivilgesellschaftliches Engagement. Das kann ich doch nicht akzeptieren. Deshalb ist das in jedem Unterrichtsausschuss Thema, bei jeder Pressekonferenz Thema, das ist in unserem Buch „Die mündige Schule“ Thema. Wir werden diese Anträge weiter einbringen, nur die Regierung wird sie weiter verlochen. Sie wird sie entweder vertagen oder in den Unterausschuss des Unterrichtsausschusses verweisen, wo sie einen langsamen Tod sterben. Fazit ist: Mit dieser Regierungskonstellation SPÖ / ÖVP wird es für die freien Schulen keine Lösung geben, weil die das einfach nicht wollen, weil sie auch den Machtzugriff auf das Schulsystem weiter bei sich behalten wollen und die freien Schulen sind für sie ein Ausdruck von Kontrollverlust – den sie scheuen wie der Teufel das Weihwasser …

Zurück zum Thema „Gleichstellung der freien Schulen mit den konfessionellen Schulen“. Letztere erhalten ja aufgrund eines Konkordats von 1968 ihre Personalkosten vom Staat ersetzt. Eine Gleichstellung der freien Schulen mit den konfessionellen Schulen wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung …

Genau. Als erster Schritt wäre das wichtig. Das könnten wir sofort machen, das könnten wir mit Herbst des Jahres machen. Schauen Sie, wenn da ein Anschlag in Paris ist, der tragisch ist, der verheerend war, der uns alle geschockt hat, dennoch und für mich unerklärlich ist: über Nacht findet man 300 Millionen Euro im Budget für gepanzerte Fahrzeuge – über Nacht! Bei der Gleichstellung der freien Schulen mit den konfessionellen Schulen geht es um keine so großen Beträge, ich behaupte, wir wären nicht einmal im dreistelligen Millionenbereich. Aber die Ministerin kann nicht einmal sagen, wieviel das kosten würde, sie ist nicht einmal bereit, das ernsthaft zu prüfen …

Und als Endziel die Vollfinanzierung aller Initiativen?

Absolut. Die Vollfinanzierung entlang der Losung: freie Schulwahl ohne Schulgeld. Entlang mancher Vorgaben, die mir wichtig sind. Dazu gehört für mich beispielsweise die gesellschaftspolitische Verpflichtung auf soziale Durchmischung. Ich halte es für wichtig, dass wir hier als Gesellschaft und als Gemeinschaft die Verpflichtung übernehmen, dass jede Schule sich dem Ziel „soziale Durchmischung“ annimmt.

Warum? Wir haben uns das in Schweden angeschaut und da haben wir gesehen, dass der Spalt zwischen Brennpunktschulen und guten Schulen sich immer weiter öffnet – und das will ich für Österreich nicht, denn dann droht die Spaltung der Gesellschaft. Und deshalb würden wir eine indexbasierte Finanzierungsschiene für die Standorte dazuschalten. Wenn du zum Beispiel in einer abgelegenen Gegend lebst, hast du gewisse Nachteile, dann bekommst du dafür eine höhere Standortfinanzierung. Und wenn du das Ziel der sozialen Durchmischung gut gewährleistest, dann bekommst du auch eine höhere Standortfinanzierung – weil wir davon ausgehen, dass du dich anderen Aufgabenstellungen widmest, wie Sprachförderung, wie Integration oder wie man bildungsferne Schichten ins System hereinholen kann. Das ist mit mehr Aufwand verbunden, deshalb bekommst du mehr Geld.

Mit all dem könnte man sofort beginnen und dazu erste Pilotschulen in Österreich einführen.

Aber diese Pilotschulen, diese Pionierschulen, die gibt es ja schon seit über dreißig Jahren!

Ja, die privaten. Die würde ich auch sofort gleichberechtigen. Und mit Ende August kann man damit beginnen, mit dem nächsten Schuljahr! Trotzdem gibt es von verschiedenen Seiten – und ich tingle durch die Gegend wie der Wanderprediger, war beim ÖAAB, war bei SPÖ-Kreisen – Vorbehalte. Sie sagen: Ja, das sind die freien Schulen, aber die kannst du nicht mit dem öffentlichen Schulsystem vergleichen. Dann sage ich: Gut, dann machen wir auch im öffentlichen System Pionierschulen – was spricht dagegen? Gar nichts! Und du musst natürlich Verlustängste auch ein Stück weit kontern und du musst sie vor allem ernst nehmen. Mir ist schon klar, dass in so einem Prozess des Wandels nicht immer alle und zu jedem Zeitpunkt glücklich sein werden und dann muss man ein Stück weit auch antizipierend hineingehen und sagen: O.k. – wo kann ich Prototypen schaffen? Damit wir von kleinen Inseln des Neuen zu Inselverbünden kommen – ja, und da wären die freien Schulen ein wichtiger Inselverbund, den man zum Archipel der Erneuerung dazugeben könnte. Aber man muss gleichzeitig auch vom öffentlichen Schulsystem her in Pionier- und Prototyping gehen. Das halte ich für ganz wichtig.

Angst ist sicherlich ein wesentlicher Faktor, denn sie rüttelt an den Grundfesten. Der Angst steht der Begriff „Gastlichkeit“ gegenüber. Ich erwähne das deshalb, weil dieses Interview in einem Magazin mit dem Thema „Bildung braucht Gastlichkeit“ erscheinen wird. Was fällt Ihnen zu diesen Worten spontan ein?

Ja, also Bildung ist Beziehungsarbeit. Lernen findet immer in einem sozialen Kontext und immer auch in einem räumlichen Kontext statt – und Gastlichkeit ist dann gegeben, wenn ein Ort und ein sozialer Rahmen mich zu etwas einlädt. Und das ist ja das Idealbild von einer Schule. Stellen wir uns vor, die Schüler von 6 bis 19 fühlen sich eingeladen – das wäre das Ultimative, was wir erreichen können! Und sie sollen eingeladen sein, ihre Flügel weit zu spannen, und wir helfen ihnen dabei und unterstützen sie.

Im vorliegenden Buch „Die mündige Schule“ ist die Einladung dazu ausgesprochen – an alle Beteiligten …

Es geht nur gemeinsam! Wir brauchen für eine gelingende Schule und eine gelingende Schulreform breite integrale und integere Dialogprozesse. Im Moment verharren die zwei Regierungsparteien in ihrer Haltung der 1970er Jahre, als sie miteinander zu ihrem Höhepunkt 93,3 Prozent hatten. Da hat die Republik ja ihnen gehört, und wenn sie untereinander etwas ausgemacht haben, dann war das am nächsten Tag Gesetz. Aber heute haben sie gemeinsam nur noch 50 Prozent, sie haben die Hälfte der Bürger hinter sich verloren, sind aber nicht bereit, so wie in anderen Ländern, bei großen gesellschaftlichen Reformprozessen – ob das jetzt die Pensions- oder die Bildungsreform ist – diese so breit aufzumachen, dass die andere Hälfte der Republik auch noch mit einsteigen kann. Das würde nämlich heißen, dass sie die Schulpartner mit an Bord holen, die Lehrer, Lehrerinnen, Eltern, die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Oppositionsparteien. Das ist gerade in den skandinavischen Ländern, aber auch in den Benelux-Staaten ganz selbstverständlich, dass man für solche wichtigen Themen auch die Opposition – wenn sie es denn will – mit an Bord holt. Dieses Verständnis gibt es überhaupt nicht. Es gibt überhaupt kein Prozessverständnis, und deswegen werden Reformen, die wir jetzt in verschiedensten Bereichen gesehen haben, auch immer wieder zum Rohrkrepierer, weil es ihnen an Akzeptanz fehlt, siehe Neue Mittelschule.

Stichwort „Talente blühen“ – die Sie als überparteiliche Initiative gegründet haben. Mehrere solcher Plattformen bräuchte es wohl, um den Bildungs-Dialog aufzumachen …

An dem sind wir dran. Und es sind im Bildungsbereich ganz viele Initiativen aus dem Boden geschossen. Im Dezember vergangenen Jahres haben wir es geschafft, einmal über 20 solcher Initiativen auf einer Bildungsmesse zu versammeln. Auch beim Buch „Die mündige Schule“ haben wir alle Parlamentsparteien, die Schulpartner, Expertinnen und Experten eingeladen, das Buch mitzugestalten – wir versuchen, solche Allianzen der konstruktiven Kräfte zu schmieden.

Mein Bild ist, dass in dieser Legislaturperiode bis 2018 so etwas wie ein Fenster aufgeht, wo man eine große Schulreform vorbereiten kann, so dass sie in der nächsten Legislaturperiode, wie immer eine Regierungskonstellation dort ausschaut, in die Umsetzung kommt. Und ich würde zum Beispiel die Verländerung für einen völlig falschen Ansatz halten – wenn man den Landeshauptleuten den machtpolitischen Zugriff auf Direktoren-Bestellung, LehrerInnen-Bestellung, Infrastrukturentscheidungen und Ermessensausgaben gibt. Das ist ganz weit weg von Schulautonomie, das ist eine Missachtung der engagierten und konstruktiven Kräfte im Schulsystem. Das ist das Gegenteil von Bildungswende von unten.

Eine Antwort auf die Frage nach den Zielen der NEOS bis 2018 würde also heißen: Mal ein Fenster aufzumachen!

Ja, ein Fenster aufzumachen, wo man eine ganz breite Allianz der konstruktiven Kräfte versammelt und die Eckpunkte einer Bildungswende vereinbart – so, dass wir einen großen Konsens haben, mit dem wir in der nächsten Legislaturperiode in eine Umsetzung gehen. That´s the plan! Dann kann man 2019/20 starten, und voll umgesetzt wäre es 2029. Und dazwischen kann man ja von jedem Schritt schon profitieren. Da sagen manche: Ja, Halleluja, bis 2029 warten, das kann es ja nicht sein. Dann sage ich: Gut, aber hätten wir 1979 damit begonnen, dann wären wir jetzt schon dort …

Sie meinten zu Beginn des Gesprächs: „Was ich zur Zeit lernen muss – Geduld muss ich kultivieren!“

Da wären wir auch wieder beim Bild vom Politiker als Gärtner, der soziale Felder kultiviert: Die Pflanze wächst nicht schneller, wenn ich daran ziehe. Aber der Gärtner kann manches erleichtern oder befördern, wenn er einen guten Rahmen dafür schafft. Und das möchte ich – und da ist es egal, ob ich das als Buchautor mache, als Vater oder als Politiker.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gerne.