„Man muss parallele Strukturen aufbauen“

Robert Lugar, zur Zeit des Interviews Klubobmann und Bildungssprecher des TEAM STRONACH, beantwortete Rainer Wisiak Fragen zum Bildungsprogramm des TEAM STRONACH sowie zu aktuellen Entwicklungen in der Bildungspolitik.

Foto: Janina Wisiak

Herr Lugar, wie auf der Homepage des Team Stronach ersichtlich, haben Sie gemeinsam mit ihren Parteikollegen und Parteikolleginnen in Bezug auf das Thema Bildung im Parlament schon einige interessante Entschließungsanträge eingebracht, um an dieser Stelle nur den Antrag auf Abschaffung des politischen Proporzes im österreichischen Schulsystem, den Antrag auf ein transparentes Bildungssystem und Schulautonomie oder den Antrag auf eine Reform der Schulverwaltung zu nennen.

Ja, nur dass diese Anträge im Endeffekt nicht viel bringen.

Weil diese von den Regierungsparteien grundsätzlich abgelehnt werden?

Genau, indem diese Anträge vertagt werden.

Um dann mit dem Ende einer Legislaturperiode auch komplett ad acta gelegt zu werden?

Nein. Sie bleiben dann sozusagen als `ungehobener Schatz´ für immer erhalten und aus diesem `Schatz´ versucht man halt als Oppositionspartei diese Anträge immer wieder hervorzuholen und in den Ausschuss zu bringen. Dort wird ein Antrag dann wieder vertagt, also herumgeschoben, und so ist das ein permanentes Heraufholen und Nach-unten-Drücken und wenn man Glück hat, wird er im Ausschuss einmal abgelehnt – weil dann kommt er zumindest ins Plenum und man kann dann in der Öffentlichkeit dafür Stimmung machen.

Wie ist das zu verstehen?

Ich sage nur ein Beispiel, was die Autonomie betrifft: Als ich im Parlament angefangen habe – das ist schon eine Zeit lang her – hieß es immer: „Autonomie in der Schule – das kommt überhaupt nicht in Frage! Das ist gefährlich, das will keiner, das ist eine Katastrophe.“ Als die Ministerin Heinisch-Hosek angetreten ist, hat sie gesagt, das wird es nie geben – und im Ausschuss wortwörtlich: „Nur über meine Leiche!“ Mittlerweile ist das Thema Schulautonomie in aller Munde, nicht? Und da habe ich sicherlich einiges dazu beigetragen, dass das der Fall ist.

Im Buch „Die mündige Schule – Buntbuch Schulautonomie“ schreiben Sie in einem Artikel, dass man der Ministerin bezüglich ihres Verhaltens nicht einmal einen Vorwurf machen könne …

Ja, denn sie handelt nach politischen Überlegungen und in ihrer Welt tut sie genau das Richtige. In ihrer Welt geht es um Macht und Einfluss. Es geht um die Möglichkeit, gesellschaftspolitisch dort Einfluss zu nehmen, wo es für die Politik langfristig am effektivsten ist. Die amtierende Ministerin macht wie all ihre VorgängerInnen genau das, was aus machtpolitischen Überlegungen am sinnvollsten ist. Auch die österreichischen Landeshäuptlinge setzen ihre Macht, die sie zweifellos im Bildungsbereich haben, dafür ein, ihre politische Macht auf breiter Front zu sichern.

Wenn aber die Politik nicht die Hauptschuld am Versagen des Schulsystems trägt, wer dann? Die Hauptschuld trägt der österreichische Bürger selbst! Politiker neigen schon seit jeher dazu, ihren eigenen Interessen zu folgen. Die Möglichkeit, dieser Neigung nachgehen zu können, wird aber erst durch einen desinteressierten Bürger geschaffen, der trotz erkennbaren Fehlverhaltens die Politiker gewähren lässt und wiederwählt.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich will keineswegs alle Politiker pauschal freisprechen, aber wir tragen alle Mitschuld am Versagen des Schulsystems. Wir haben die Politik viel zu lange gewähren lassen. Wir haben den herrschenden Politikern die Möglichkeit gegeben, sich bis ins kleinste Detail ins Schulsystem einzumischen.

Also Parteipolitik raus aus der Schule?

Unbedingt. Leider hat sich die Politik aber wie ein Parasit im Wirtskörper Schule festgesetzt und macht keine Anstalten, diesen zu verlassen. Wenn unser Schulsystem also gesunden soll, müssen wir es der Politik entreißen – freiwillig wird die Politik ihren Wirtskörper nicht aufgeben, denn eine Schule ohne politischen Einfluss kann natürlich auch nicht mehr gesteuert und beeinflusst werden. Ja, aber genau das ist es, was wir vom Team Stronach erreichen wollen.

Dennoch hat die Bildungsministerin die Bildungssprecher aller Parteien eingeladen, mit ihr nach Holland zu reisen, um sich das „Holländische Modell“, in welchem die volle Autonomie der einzelnen Schulen eine zentrale Rolle spielt, anzusehen.

Ja, und wir hatten dort ein wirklich unglaublich gutes Programm. Wir haben dort auch mit allen beteiligten Seiten gesprochen, mit Vertretern der öffentlichen Schulen, von Privatschulen, mit dem Ministerium, den dortigen Kontrollorganen und alle Beteiligten haben das dortige System großartig gefunden – bis auf die Gewerkschaft. Und der einzige Punkt, den die Gewerkschaft negativ gesehen hat, war der Druck auf die Lehrer. Dass die Lehrer jetzt gerade in einem sehr komfortablen Zustand sind, weil sie weder gekündigt noch irgendwie sonst behelligt werden können, ist klar. Und im neuen System würde natürlich auch ein gewisser Druck auf die Lehrer entstehen, im Sinne von: „Wieso geht da nichts weiter?“

Dass die Gewerkschaft da Vorbehalte hatte, hat die Ministerin dann sehr beeindruckt. Und obwohl sie vorher recht begeistert war, hat sie danach alles ad acta gelegt, so nach dem Motto: „Na, wenn die Gewerkschaft nicht zufrieden ist, dann geht das nicht!“

Wovon war sie denn bezüglich des „HolländischenSystems“ speziell beeindruckt?

Sie war in jeder Weise beeindruckt – bis zu dem Gespräch mit der Gewerkschaft. Und das ist ja das Problem, das wir in Österreich haben, das heißt: Es gibt die Gewerkschaft und eben diese Landeshäuptlinge – und beide sind an einer Reform nicht interessiert. Die Lehrergewerkschaft – und da kann man ihr auch keinen Vorwurf machen – hat die Pflicht, auf ihre Lehrer zu schauen. Und die Lehrer wollen natürlich weder Druck noch irgendwie eine Konkurrenzsituation, noch wollen sie kontrolliert werden – das wollen sie natürlich alles nicht.

Und die Landeshäuptlinge wollen eine Reform nicht, weil sie an Macht und Einfluss verlieren würden. Ein kleines Beispiel nur: ich habe zwei Kinder, ein Mädchen mit neun und einen Buben mit elf Jahren. Mein Bub fuhr in der vierten Klasse Volksschule auf Schiwoche, und da die meisten Kinder keinen Helm hatten, hatte die Lehrerin gefragt, ob sie für alle Kinder einen besorgen könne. Und als mein Bub zurück kam, hat mich der Blitz getroffen, denn da stand auf dem Helm ganz groß: „Landeshauptmann Erwin Pröll“. Mit diesen Helmen sind alle Kinder eine Woche lang spazieren gefahren. Ich meine, das ist ein Wahnsinn, wenn man sich das überlegt, aber das ist genau der Grund, weshalb sie das nicht hergeben wollen, dieses `Spielzeug Schule´.

Das heißt: Mit der Lehrergewerkschaft will sich die Ministerin nicht anlegen und die Landeshäuptlinge möchte sie möglichst nicht verärgern, weil die Landeshäuptlinge in Wahrheit entscheiden, ob sie Ministerin ist oder nicht. Weil das ist ja etwas, was die wenigsten wissen: Zwar wählt das Volk alle fünf Jahre demokratisch die Regierungsparteien – aber sie werden auch intern demokratisch gewählt. Und wenn man sich anschaut, wer da stimmberechtigt ist, dann sitzen da weit mehr als zur Hälfte die Länder drin. Bei der ÖVP haben wir jetzt zum Beispiel 51 Abgeordnete, und 45 davon sind über die Länder gewählt worden – das heißt, die hat ein Landeshauptmann aufgestellt. Das heißt: ohne Länder keinen Mitterlehner, auch keinen Faymann. Nur, um einmal auf die Machtverhältnisse hinzuweisen.

Wären Sie deshalb für ein „Holländisches System“ in Österreich?

Holland hat gestartet mit 100 Prozent öffentlichen Schulen und ist jetzt bei 70 Prozent privaten Schulen und 30 Prozent öffentlichen Schulen. Man hat dort gesagt: Jeder kann eine Schule eröffnen, jeder! Man muss sich nur an die Spielregeln halten und wird regelmäßig kontrolliert – und Schulen werden auch wieder zugesperrt, wenn sie nicht funktionieren. Eltern können dort ihren Bildungsscheck an jeder Schule einlösen – öffentlichen wie privaten. Und jede Schule – öffentliche wie private – muss dort um Schüler werben und wenn sie das nicht schafft, hat sie auch keine Schüler und kann nicht weiter bestehen. Mein Vorschlag wäre, auch für Österreich einen solchen Bildungsscheck einzuführen, den Eltern dann sowohl an öffentlichen wie privaten Schulen einlösen könnten. Das hieße, auch die öffentlichen Schulen müssen sich dann was überlegen, weil sonst immer mehr Kinder von den öffentlichen zu den privaten Schulen abwandern.

In Holland hat das zu einem unglaublichen Aufbruch und zu einer unglaublichen Verbesserung geführt – und das hätten wir halt hier auch gerne! Wir hätten hier vor allem den Vorteil, dass man dieses parallele System schon fahren kann, denn diese Privatschulen gibt es in Österreich ja schon – nur werden die nichtkonfessionellen Privatschulen derzeit kaum bis nicht gefördert! Ein paralleles System aufbauen würde heißen: Wenn der ganze öffentliche Bereich sozusagen in der Hand der Länder und der Lehrergewerkschaft ist, dann gelte es, den privaten nichtkonfessionellen Bereich – wo die Lehrergewerkschaft keine Macht hat, weil es dort kein Lehrerdienstrecht, sondern nur freie Angestelltenverhältnisse gibt, und wo auch die Politiker keine Macht haben – dem öffentlichen Bereich finanziell gleichzustellen. So könnte man ein Parallelsystem einführen und das bestehende öffentliche System aushungern beziehungsweise zu Reformen zwingen. Das wäre die Idee dahinter.

Weil sich das Bildungssystem sonst nicht reformieren lässt?

Ich bin seit zwanzig Jahren in der Politik und habe gesehen, dass sich das Bildungssystem von innen her nicht reformieren lässt. Wenn man aber diese Parallelstruktur macht und die Wahlfreiheit gibt, entsteht Konkurrenz – das ist in der Wirtschaft ein ganz normaler Vorgang. Solange ich alleine bin auf weiter Flur, bestimme ich die Preise und muss mich nicht anstrengen. Wenn aber drei oder vier Firmen die gleichen Leistungen anbieten und möglicherweise sogar noch besser oder günstiger, dann muss ich mir auch etwas überlegen.

Ein Unternehmen, das jahrzehntelang mangelhafte Produkte produziert, diese überteuert verkauft und im Wettbewerb immer weiter zurückfällt, hätte in der freien Wirtschaft keine Überlebenschance. Was in der Wirtschaft undenkbar ist, scheint aber in Bezug auf das österreichische Schulsystem Normalität zu sein – denn wir alle akzeptieren stillschweigend, dass unser Schulsystem bei hohen Kosten extrem schlechte Ergebnisse erzielt.

Und was macht der Staat denn besser als die Privaten? Warum kann ich das Geld pro Kind nicht auch einer privaten Schule geben? Die Ministerin kann es mir nicht erklären. Ich habe sie zweimal gefragt, warum das nicht möglich ist – wo doch beide Schulen die gleiche Leistung erbringen. Dann sagt sie: „Das ist nicht vorgesehen.“ Worauf ich hinweise: „Aber darüber reden wir ja. Warum ist es nicht vorgesehen?“ Und sie antwortet: „Das österreichische Schulsystem ist so gewachsen, das ist nicht vorgesehen.“ Sie kann es nicht erklären, weil es nicht erklärbar ist. Es ist nicht erklärbar!

Unser Slogan ist: „Politik raus aus der Schule!“ Politik hat in der Schule nichts verloren, und zwar deshalb, weil sie in anderen Bereichen auch nichts verloren hat. Zum Beispiel: Wenn Sie eine Gasleitung brauchen in einer Wohnung, kommt der Installateur und legt quer durch drei Zimmer eine Gasleitung. Das ist brandgefährlich und wenn der einen Fehler macht, fliegt alles in die Luft – und trotzdem macht das nicht der Staat. Der könnte ja auch hergehen und sagen: Ich mache das selbst, ich habe da meine Beamten und die schauen, dass da nichts passiert. Aber das macht er nicht, er macht nur ganz strenge Regeln, wonach das geprüft werden muss, dreifach, vierfach – und wenn sich alle dran halten, gibt es keine Probleme. Nur bei der Schule wird anders argumentiert: Weil es für die Gesellschaft so wichtig ist, muss es der Staat machen! Aber man weiß, dass der Staat ein schlechter Unternehmer ist – und auch ein schlechter Pädagoge, denn er benutzt Schule als Machtinstrument, indem er sagt: „Ich will da aufpassen, dass nichts passiert“ im Sinne von falscher Einstellung politischer Natur. Weil man seit Maria Theresia Angst davor hat, dass dort der Keim einer Revolution entstehen könnte. Da geht es gar nicht darum, alle Kinder fürs Leben vorzubereiten und man sieht ja auch, dass das de facto nicht funktioniert …

In ihrem Bildungsprogramm wünschen Sie sich einheitliche und vom Bund vorgegebene Bildungsziele, die regelmäßig überprüft werden. Für deren Einhaltung sind dann die DirektorInnen der zur Gänze autonomen Schulstandorte verantwortlich …

Richtig. Die Bildungskompetenz muss ausschließlich beim Bund angesiedelt sein und wir fordern die ersatzlose Streichung aller Landes- und Bezirksschulräte. Und dann müssen wir die Entscheidungsgewalt dorthin geben, wo sie im Sinne unserer Kinder optimal angesiedelt ist: in die Schulen! Denn die einzigen, die im System dazu befähigt sind, gelingenden Unterricht in den Klassen zu bewerkstelligen, sind die DirektorInnen der Schulen mit ihren Lehrkräften. Und Autonomie würde für uns auch heißen: Der Direktor oder die Direktorin wird von einem Rat aus Eltern, Lehrern und Schülern alle vier Jahre gewählt. Die Politik hat dabei kein Mitspracherecht.

Bezüglich eines Bildungsschecks sprechen Sie immer wieder davon, dass pro Kind pro Jahr von einem „Sockelbetrag“ von 8.000 € auszugehen ist.

Ja, das sind die durchschnittlichen Schulkosten pro Jahr pro Kind. Uns vom Team Stronach ist es aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieser „Sockelbetrag“ für Kinder mit besonderen Bedürfnissen aufgestockt werden muss. Denn Kinder mit Migrationshintergrund oder Kinder, bei denen es zu Hause Gewalt gab oder gibt, haben einen erhöhten Bedarf an Förderung, da muss man eventuell auch Beratungslehrer oder Schulpsychologen hinzuziehen. Solche Kinder könnten einen Bildungsscheck bis 14.000 € erhalten. So würden Kinder mit besonderen Bedürfnissen oder aus sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen für die verschiedenen Schulen auch ökonomisch interessant werden, da mit diesem zusätzlichen Geld auch zusätzliche Lehrkräfte für diese Kinder angestellt werden könnten.

Wie löst aber die Ministerin die Situation mit den momentanen Flüchtlingskindern? Da kommt ein Kind, das ist neun, und was machen sie? Sie setzen das Kind in eine dritte Klasse Volksschule und glauben: „Es wird schon mitkommen. Die Lehrer reden eh mit den anderen Kindern und die anderen Kinder ziehen das Kind dann schon mit.“ Ich meine, da greift man sich ja an den Kopf!

In Holland – einem Land mit sehr hohem Migrationsanteil – werden diese Kinder erst einmal mit einer Basisförderung befähigt, gut aufschließen zu können. Die sagen: Es ist immer nur eine Frage der Förderung! Und diese Mühe einer Basisförderung macht man sich bei uns nicht – und so zementieren wir Ungleichheit. Und die Ungleichheit ist nicht entstanden, weil ein syrisches Kind dümmer ist als ein österreichisches, sondern es tut sich schwer, weil es die Sprache noch nicht kann und mit den Gepflogenheiten bei uns nicht zurechtkommt. Und das Problem ist dann, wenn die Frustrationstoleranz überschritten ist, dass manche dann nur noch frustriert sind. Frustration führt zu innerer Emigration, das heißt: Man will dann nichts mehr lernen oder tätigt Sätze wie „Das brauch ich alles nicht – ich werde eh einmal Fernfahrer.“ In all den Fällen wären wir in unserem System für einen erhöhten Bildungsscheck.

Haben Sie sich das durchgerechnet, wäre das finanziell machbar?

Ja, wir würden nur unwesentlich mehr Geld brauchen, weil mit unserem System dann auf der anderen Seite die ganzen teuren Verwaltungsstrukturen der jetzt öffentlichen Schulen nicht mehr finanziert werden müssten.

Was wären noch andere wichtige Eckpunkte im Bildungsprogramm des Team Stronach?

Ganztagsschule mit verschränktem Unterricht!

Verschränkter Unterricht“ bedeutet?

Für uns ist es ganz wichtig, dass die Schule ihre Aufgaben nicht an die Eltern delegiert. Im Moment ist es ja leider öfters so, dass schlechte Lehrer ihren Stoff „runterspulen“ – ob die Kinder nun mitkommen oder nicht. So wird aber vieles auf das Zuhause verlagert und die Kinder müssen dann den Stoff zu Hause nachlernen oder noch einmal lernen. Und da sind dann die Eltern natürlich stark gefragt. Nur – viele Eltern wollen oder können das gar nicht, sich da hinsetzen, oft haben sie auch nicht die didaktischen Fähigkeiten dazu, um dieses ohnehin nicht Verstandene noch einmal so aufzubereiten, dass es verstanden wird.

Das Modell, das wir jetzt haben, ist ja nicht angepasst an die heutige Zeit. Es ist noch wie zu meiner Schulzeit, ich kann mich noch erinnern: Mein Vater hat gearbeitet, meine Mutter war zu Hause – und hat schon gewartet, bis wir von der Schule kommen und hat uns am Nachmittag beigebracht, was wir in der Schule nicht beigebracht bekommen haben. Mittlerweile müssen aber beide Elternteile arbeiten, um sich das Leben leisten zu können und damit ist es ein Problem geworden, den Kindern am Nachmittag die Förderung zukommen zu lassen, die sie brauchen.

Deshalb verschränkter Unterricht – das heißt, alles wird in der Ganztagsschule gemacht. Und für die einen Kinder heißt das dann am Nachmittag eben viel Freizeit oder Förderung von speziellen Talenten oder eben Förderung für all jene, die am Vormittag nicht mitgekommen sind – um dann im Klassenverband wieder eine homogene Gruppe zu erzeugen. Und wenn die Kinder nach Hause kommen, ist Freizeit und nicht „Ist die Hausübung gemacht?“, „Zeig mir deine Hefte!“, „Hast du schon alles verstanden?“, „Wann hast du die nächste Prüfung?“ – denn das ist in Wahrheit alles Aufgabe der Schule und nicht der Eltern.

Und wir wollen die Kinder unabhängig von den Eltern machen – was Bildung betrifft. Weil im Moment haben wir ja in Österreich immer noch das Problem, dass die Eltern den Kindern ihre Bildung `vererben´, auch dadurch, dass beispielsweise ein Arbeiterkind am Nachmittag zu Hause weniger Unterstützung hat denn ein Kind aus einem reichen Elternhaus …

Zur groß angekündigten Bildungsreform – Harald Walser von den Grünen hat ja im letzten freigeist-Interview im Vorhinein schon gemeint, es wird eine „Zwergerlreform“ werden …

Reform? Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber jeder, der sich im Bildungsbereich ein bisschen auskennt, sieht, dass man die Eckpunkte dessen, was man wollte, nicht erreicht hat. Schon alleine der Eckpunkt „gemeinsame Schule für alle“ – das kann man mit einer 15-Prozent-Region, wo man sich noch dazu auch rausoptieren kann, nicht umsetzen. Noch dazu ist eine gemeinsame Schule nur mit innerer Differenzierung möglich und da fehlen die inneren Differenzierungsmodelle zur Gänze. Und die Evaluation fehlt.

Die soll es 2025 geben …

Nach zehn Jahren! Das heißt, wenn mein Kind jetzt in der Schule ist, kann es passieren, dass sie nach zehn Jahren draufkommen, dass es ein Fehler gewesen ist, dass diese Reform gescheitert ist – und mein Kind hat sich die Zukunft verbaut? Ich meine, wie krank ist diese Bildungsreform? In Holland wird halbjährlich (!) evaluiert und nicht nur absolut im Sinne unserer Lesetests, wo nur geschaut wird, was das Kind kann, sondern auch relativ – das heißt, dort schaut man, wie sich das Kind entwickelt hat, und das ist ja das Entscheidende.

Ein anderes Problem ist, dass diese gemeinsame Schule – und das sagt jeder Experte – nur mit mehr Geld funktionieren kann, weil man da eine unglaubliche innere Differenzierung zustande bringen muss. Die Frau Ministerin wird jetzt 300 Millionen brauchen – und keiner wird ihr die geben. Ich bin gespannt, wie sie dieses Problem löst, denn der Finanzminister hat schon gesagt: Es gibt kein Geld! Grundsätzlich bin ich ein großer Freund davon, dass man der Schule mehr Geld gibt – aber nur dann, wenn es Konzepte gibt, wie man das sinnvoll einsetzen kann, weil in ein schlechtes Konzept noch mehr Geld reinzustecken macht ja keinen Sinn, nicht? Aus diesem Grunde sind wir mit dieser Bildungsreform auch nicht mitgegangen, weil es einfach keine Reform ist. Da sind die Landeshäuptlinge ja schon fast wieder hilfreich, denn der Erwin Pröll hat schon gesagt, dass es in Niederösterreich keine 15-Prozent-Region geben wird.

Man bekommt das Gefühl, dass sämtliche Oppositionsparteien – was Bildung betrifft – da eigentlich ziemlich einhellig an einem gemeinsamen Strang ziehen. Warum werden gute Argumente nicht gehört?

Sie werden ja gehört. Die Regierungsparteien hören ja die Parlamentsreden, sie wissen eh, wie wir denken. Das Problem ist nur, dass sie es nicht umsetzen können, weil es einfach gegen ihre Intention ist, es ist gegen das, was sie wollen. Und genau das ist der Punkt, das heißt: Man kann nicht erwarten, dass sich das System von sich heraus bereinigt, sondern man muss dem Souverän – das Volk in diesem Falle – die Macht geben, erstens zu verstehen, was da passiert, was da im Argen liegt und dann, dass es sich entscheiden kann: Das muss anders werden! Und eines ist sicher: Wenn das Volk einhellig sagt, so kann das nicht weitergehen – dann geht es auch so nicht weiter.

Und wenn man es immer noch nicht glaubt, dann muss man sich nur irgendwo hinsetzen mit einem weißen Blatt Papier und die Aufgabenstellung ist: „Es gibt kein Schulsystem in Österreich. Skizzieren Sie ein Schulsystem, das in Österreich funktionieren könnte.“ Glauben Sie im Ernst, dass da jemand auf die Idee kommen würde, die Landeshauptmänner einzubinden und dann irgendwelche Bildungsdirektionen auf alle Bundesländer zu verteilen und und und … Es würde keiner auf die Idee kommen, ein so kompliziertes System zu bauen, wie wir es jetzt haben! Es stimmt auch nicht, was viele sagen: „Ah, ein gescheites Bildungssystem – das ist alles so komplex.“ Weil: Bildung funktioniert! Aber halt sehr partiell, nicht? Aber wenn man das, was funktioniert aufbläst, dann funktioniert es auch großflächig. Nur macht man das leider nicht. Man bläst halt Dinge auf, die nicht funktionieren und hofft, wenn man nur mehr und immer mehr Geld reinsteckt in Strukturen, die nicht funktionieren, diese irgendwann einmal besser funktionieren. Nur so wird das nichts.

Was man bräuchte – mit einem Satz erklärt – ist ganz einfach diese parallele Struktur, dass man die Privatschulen genauso fördert wie die öffentlichen Schulen!

Vielen Dank für das Gespräch.