„Wir denken zu wenig qualitativ!“

Ein Interview mit Erwin Thoma, Förster, Buchautor und Unternehmer

Foto: Reinhard Kraus

Es begann damit, dass Erwin Thoma, damals noch Förster, für seine Kinder das gesündeste Haus bauen wollte. Dafür sammelte er Jahrtausende altes Bauwissen und begann, mit Mondholz zu experimentieren. Heute leitet er einen Betrieb mit über hundert MitarbeiterInnen und errichtet mit ebenso vielen innovativen Partnerbetrieben Massivholzhäuser von den USA bis nach Japan. Mit der ETH in Zürich und der FH Joanneum in Graz forscht er an einer nachhaltigen Form des Bauens für das postfossile Zeitalter.

Welche Schlüsse sich aus seinem Wissen um den Wald und einem nachhaltigen Bauen für die Pädagogik ziehen lassen, darüber sprach er auf dem Kongress „Ökologie der Kindheit“ im Schlosspark Mauerbach und danach in einem Interview mit Rainer Wisiak.

Herr Thoma, neben dem Entwerfen und Bauen von Massivholzhäusern forschen Sie und halten auch Vorträge – und schreiben Sie Bücher. Wie geht sich das Schreiben neben allem anderen aus?

Nun ja, 8 Bücher in dreißig Jahren ist nicht gerade viel, oder? Wenn jemand anderer irgendein Hobby hat, wendet der wahrscheinlich dieselbe Zeit dafür auf wie ich fürs Schreiben …

Sie würden es also als ein Hobby beschreiben?

Also ich empfinde das nicht als Arbeit. Ich denke mir, wenn ich das als zusätzliche Arbeit empfinden würde, ginge es auch nicht. Und schauen Sie: Es gibt ja auch Jahre, in denen nichts erschienen ist – und dann hat man wieder Muße und es passt …

In der Literatur entsteht gerade eine Art neues Genre, das viele mit „Biopoetik“ betiteln (im englischsprachigen Raum „ecopoetics“ genannt). Im Wesentlichen geht es da um einen schriftstellerischen Stil, der impliziert: Wir haben da schon eine Verantwortung bezüglich dem, was wir da draußen tun oder nicht tun – jetzt ökologisch gesehen …

Trifft dieser Gedanke auch auf ihre Bücher zu?

Ich bin ja, wenn ich so einen Begriff höre, zunächst einmal vorsichtig. Ich wehre mich auch immer dagegen, wenn man die Natur, den Wald oder die Bäume romantisiert oder verklärt darstellt, weil es geht ja nicht darum, dass wir jetzt alles poetisieren, dass da jetzt alles mit rosaroten Brillen gesehen wird – überhaupt nicht! Sondern es geht darum, dass wir den Kern des Lebens erkennen, dass man die wesentlichen Aspekte des Lebens erkennt und sich dann selber entfalten kann – um das geht es.

In ihren Vorträgen betonen Sie: Will man die wesentlichen Aspekte des Lebens erkennen, tut man gut daran, sich mit dem „System Wald“ zu beschäftigen. Weil der anders wirtschaftet als dieses uns umgebende gängige Wirtschaftsmodell mit seinem Motto „teile nicht, vernichte!“

Wir sind jetzt an einer Schwelle angekommen – und da muss man sich ja nur die Fakten und Zahlen anschauen:

Als ich auf die Welt gekommen bin, gab es auf der Erde drei Milliarden Menschen – und in meinem kurzen Leben habe ich jetzt erlebt, wie sich die Menschheit bald verdreifacht hat, der CO2-Ausstoß verfünffacht und der Welthandel sich verzweihundertfacht hat. Das muss man sich vorstellen – aber wir verharren in einem Fetischismus, der das Wachstum als etwas Heiliges anbetet und wo man glaubt, Wirtschaft funktioniert nur, wenn diese exponentiell wächst. Aber das geht sich auf allen Ebenen nicht mehr aus, wir überfordern da jede Form von Ressource …

Die nächsten großen Bevölkerungswachstumszahlen erwarten wir ja in Afrika und Indien, die Menschenleben dort werden sich in den nächsten dreißig Jahren verdoppeln und es ist ausgeschlossen, es ist in jeder Form – auch in der optimistischsten Hochrechnung – ausgeschlossen, dass diesen Menschen fossile Energien oder auch Rohstoffe zur Verfügung stehen, dass sie sich in einer gleichen Weise Strukturen schaffen können, wie dies bei uns oder noch in China möglich war.

Das heißt, wir befinden uns in einer Situation, wo wir neue Konzepte, neue Wege zwingend finden müssen – sonst gibt es einen Bruch. Und diese neuen Wege, die können nur in einer Kreislaufwirtschaft münden, die können nur in Nachhaltigkeit münden. Und da sind sich auch alle Fachleute einig – wurscht, welcher „Glaubensrichtung“ sie angehören – dass das jetzt mit einem naiven Innovationsoptimismus nicht lösbar ist, indem wir beispielsweise sagen: Jetzt ersetzen wir den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor – und dann haben wir es gelöst.

Der „Tesla“ wird die Welt nicht retten?

Der Tesla, der dann auch wieder nicht verwertet werden kann, wird die Welt nicht retten. Ich kann aber aus einem Auto wieder ein Auto bauen – zu hundert Prozent! Und da müssen wir hin, ich muss es nur anders designen.

Sie weisen immer wieder darauf hin, dass der Wald ein Musterbeispiel für einen perfekten Kreislauf sei …

Ja, denn das Wort „Abfall“ gibt es dort nicht – dort ist alles sinnvoll. Aber natürlich funktioniert so etwas nur, wenn es andere Paradigmen gibt. Der Wald ist ein System, wo – welche Worte man verwendet, ist letztlich egal – wo sozusagen diese Schöpfungsweisheit drinnen liegt, dass letztlich das bleibt, was lebensfördernd ist. Und das sind völlig andere Paradigmen, als wir sie heute leben. Und es wäre im Wald auch undenkbar, dass man dort derartige Konzentrationen, globale Machtkonzentrationen vorfindet wie in unserer Wirtschaftswelt.

Und solche Systemdebatten und Grundsatzdebatten über unsere Haltung müssen wir führen. Ich meine, das ist ja bekannt: 8 Personen auf dieser Welt besitzen so viel Vermögen wie 50 Prozent der ärmeren Hälfte der Menschheit und 10 Prozent der Menschen besitzen 90 Prozent des Gesamtvermögens – das ist ja alles ein Irrsinn! Und dieses soziale Ungleichgewicht ist ja mit der Zerstörung der Ökosphäre unauflösbar verbunden – das eine bedingt ja das andere.

Der deutsche Philosoph Andreas Weber sagt: „Die Ökosphäre beruht auf einer Ökologie der Gabe“ – also des Gebens …

Also wenn es im Wald ein Baum geschafft hat, dass er durchgewachsen ist, dass er als großer Baum die Krone oben hat und seine Wurzeln ausgebildet hat, beschäftigt er sich nur noch mit Hummusbildung, Bodenverbesserung – also nicht nur Erhaltung, sondern aktiv Verbesserung. Er beschäftigt sich damit, dass er Wasser reinigt, Wasserreservoirs ausgleicht, das Klima ausgleicht … also er macht alles, dass es für die Nachkommen besser wird. Dieser Organisation liegt also eine äußerst lebensfördernde Haltung zugrunde …

Sie haben den Wald einmal als „ein Lebensprinzip der Fülle und Angstfreiheit“ bezeichnet. Das Wort „Fülle“ leuchtet einem schnell ein – aber „Angstfreiheit“?

Naja, das eine bedingt das andere. Schauen Sie, als Beispiel: Ich war der erste, der in Österreich und Deutschland Fabriken gebaut hat, die nur mit Sonnenenergie laufen. Und mir wurde bewusst, dass wir Menschen durch diese großen Naturgeschehen rund um uns, durch diese Energieströme, die die Sonne jeden Tag runterbringt, durch den Wasserstrom, der jeden Tag von den Meeren aufgehoben und über die Wolken wieder abgeregnet wird in eine unglaubliche Fülle eingebettet sind – wir uns dessen aber oft nicht bewusst sind.

Und das andere ist: Wir leben in einer Welt, in der es viele Geschäftsmodelle gibt, die damit – oder nur dadurch – funktionieren, dass künstlicher Mangel, Knappheit und Angst erzeugt wird …

auf eine bewusst künstliche Art und Weise …

Natürlich. Also wenn Ihnen heute jemand erzählt, dass wir eine Energieknappheit haben, dann ist das ja ein ausgekochter Blödsinn. Die Menscheit ist überhaupt nicht in der Lage, die Energie auch nur zu einem Bruchteil zu verbrauchen, die jeden Tag alleine von der Sonne zur Verfügung steht. Wir haben ein Nutzungs- und Verteilungsproblem, aber niemals ein Knappheits- oder Ressourcenproblem. Oder nehmen wir die Rohstoffe: Ein jeder hat heute inzwischen ein Smartphone … und jedes Smartphone braucht Coltan. Um dieses Coltan zu bekommen, ruinieren wir mit unserer Ausbeutung im Kongo das halbe Land und die Konzerne rufen: das Coltan wird knapp, deshalb müssen wir es verteuern! Und nebenbei schmeißen wir jedes Handy weg, ohne dass wir das Coltan zuerst wieder rausholen …

Würden wir das so umdesignen, dass es erstens dreimal so lange lebt – was kein Problem wäre, wenn wir die geplante Obsoleszenz rausnehmen, will heißen, den geplanten (!) Verschleiß, um das Geschäft anzuheizen – und würden wir es als zweites dann so designen, dass aus einem Handy wieder ein Handy werden kann und nicht der Boden devastiert wird, dann haben wir eine Fülle, dann ist dieser Stoff in Fülle vorhanden – und das gilt im Grunde für alle Rohstoffe. Das heißt: Wir haben eigentlich keinen Mangel, sondern Strukturprobleme und ein Haltungsproblem.

Und deswegen hängt für mich auch dieses Paar „Fülle und Angstfreiheit“ zusammen … wobei man beim Begriff „Angst“ sehr vorsichtig sein muss, denn es gibt ja diese zwei Arten von Angst, die leicht verwechselt werden. Das eine ist die sehr positive Angst – oder Furcht, je nachdem, welches Wort man dafür verwendet. Jene Angst, die zum Leben dazugehört, zum Beispiel wenn ein Kind durch den Geburtskanal durch muss oder du durch etwas Unbekanntes, Dunkles durchgehen musst. Diese positive Furcht, die uns vor Gefahren schützt oder die uns auferlegt ist vor großen Schritten ins Ungewisse, die dann aber auch zu Wachstumsschritten und einer seelischen Weiterentwicklung führen.

Und das andere ist dann eben diese lähmende Angst, diese von der Wirtschaft und den Medien künstlich erzeugte und destruktive Angst, die die Menschen in die Depression treibt, in die Handlungsunfähigkeit – das muss man genau auseinanderhalten. Und wenn ich „Angstfreiheit“ sage, dann meine ich: frei zu sein von dieser destruktiven und manipulativen Angst. Und die ist weg, wenn man sich der Fülle bewusst ist, in der wir leben.

Fülle und Angstfreiheit – durch eine andere Form des Wirtschaftens also?

Ja, denn unsere Wirtschaft steht völlig auf dem Kopf – die gilt es wieder auf die Füße zu stellen. Dazu brauchen wir ganz andere Kreislaufsysteme – abfallfreie!

Bei den Häusern sind wir schon so weit. Ich baue Hochhäuser, Großbauten, tausende-Quadratmeter-Büros – das haben wir alles schon gebaut – die ohne Dämmstoff und ohne Technik sich selbst heizen und kühlen … und die zur Gänze ein wertvolles Rohstoffdepot sind. Heutige Häuser sind ja Sondermülldeponien und das, was wir heute an Bausubstanz haben, ist ja für die nächsten Generationen eine Belastung – ist für die nächsten Generationen eine Hypothek. Und Bauten für die nächsten Generationen sollten eigentlich wie eine Baustoff- oder Rohstoff-Bank sein, die müssten sozusagen ein Sparkonto sein. Sie können die Holzmodule unserer Häuser jederzeit wieder zerlegen und ein neues Haus daraus bauen …

Und Wirtschaft muss als erstes Ziel „Lebensförderung“ haben – und nicht Profit! Weil Lebensförderung ist der höchste Profit, das ist die höchste Rendite, die aus der Arbeit heraus kommen kann. Weil erst das gibt der Arbeit wieder ihre Wertigkeit. Erst wenn wir das schaffen, können wir auch das soziale Thema lösen – dass man Arbeit als etwas Wertvolles erkennt und nicht moderne Sklaverei betreibt, wie wir es heute machen …

Sie haben berufsbegleitend Betriebswirtschaft studiert … mit Abschluss?

Das war mehr interessehalber – ich wollte die Bilanzen meiner Firma lesen können (lacht). Und ja, mit Abschluss … aber das war nicht das Ziel. Zwei Mitarbeiter meiner Firma haben ein berufsbegleitendes BWL-Studium begonnen und als sich meine Tochter auch dafür entschieden hat, habe ich gesagt: jetzt mache ich mit! Ich habe da reingeschnuppert und dann halt fertig gemacht. Es war für mich einfach eine Wissenserweiterung – wahrscheinlich, weil ich immer sehr neugierig bin …

Das war jetzt schon der Schwenk zum Thema „Bildung“ 🙂 Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie die vorangegangenen Begriffe „Fülle“ und „Angstfreiheit“ mit dem Thema „Bildung“ verbinden?

Zu Fülle: dieses unendliche Potential, das Kinder mit ihrer Geburt mit in die Welt bringen. Denken Sie nur – wenn man ein österreichisches Kind für einige Zeit irgendwo in Zentralafrika aufwachsen lässt, spricht dieses Kind in kürzester Zeit den schwierigsten afrikanischen Dialekt, der für uns Erwachsene völlig unlernbar ist. Da ist so ein Potenzial, da ist eine solche Fülle angelegt in allen Kindern …

Angstfreiheit? Ich würde mir eine angstfreie Schule wünschen. Aber statt Potenziale zu fördern, haben wir ein Bildungssystem, das vor allem versucht, vermeintliche Bildungslücken aufzudecken und Mangel zu definieren und zu bezeichnen – deshalb haben wir ja ein Zeugnis! Und wenn ein Kind außerordentlich begabt ist und wunderschön singen kann und ein halbes Musikgenie ist, aber in Mathematik versagt – dann hat er in Mathematik einen Fünfer stehen und darf nicht aufsteigen (lacht herzlich) – das ist unser System! Das heißt, wir suchen im Kind schon das, was das Kind noch kleiner macht und hemmt und das ist in meiner Wahrnehmung ein Wahnsinn! Das ist neben allem Leid auch eine unglaubliche Ressourcenvergeudung …

Spielen bei diesen Gedanken eigene Schulerfahrungen mit?

Ich kann mich erinnern, dass ich im Gymnasium im Unterrichtsgegenstand Deutsch immer vor dem Sitzenbleiben bedroht war. Und dann ist meine Mama einmal zum Deutsch-Professor gegangen – da war ich vielleicht zwölf Jahre alt – und hat gesagt: „Wie gibt es das, dass der Bub nur Vierer und Fünfer hat und überhaupt nicht weiterkommt? Weil er liest ja wie ein Kranker, der liest jedes Buch, das er erwischt – und in Deutsch kriegt er lauter schlechte Noten?“ Dann hat der die Mama angeschaut und gesagt: „Ihr Sohn wird halt niemals Deutsch lernen!“

Ich habe ja bis jetzt eine ganze Reihe von Bestsellern geschrieben und kann sagen: Gottseidank hat mich der nicht beeindruckt! Ich habe das offenbar glücklich überstanden, aber auf dem Weg gibt es ja viele, die das dann glauben – und ihr ganzes Leben lang glauben! Und das ist Defizitkultur …

Das ist nur so ein Beispiel für mich … aber dieses und ähnliche Erlebnisse haben bei mir dann später bei der Betrachtung von Bildungssystemen zumindest einen kritischen Blick erzeugt. Und ich möchte dazusagen, dass es natürlich viele tolle und engagierte Lehrer gibt – ich will da in keinster Weise pauschalieren, mir geht es bei diesem Beispiel auch weniger um die Person eines Lehrers als vielmehr um das System.

Lösungsvorschläge?

Die für mich wichtigste Idee zum Thema „Bildung“ ist: Jede Entwicklung, natürlich auch die Bildung und Ausbildung eines Menschen, braucht einmal ganz profan gesagt zwei Grundvoraussetzungen – das ist die ZEIT und der RAUM dafür.

Aber allein, wie wir schon mit den Grundvoraussetzungen dafür – noch bevor wir in das System hineinschauen – umgehen, ist ein Wahnsinn. Wir wissen, dass wir alle durch unsere moderne Lebensweise viel zu wenig Bewegung haben, dass wir viel zu viel in geschlossenen Räumen sind. Und dennoch sperren wir unsere Kinder von klein auf in menschenfeindliche Beton- oder sonstwie Kunst-Burgen ein. Die Kinder gehören raus. Das geht schon beim Kindergarten los – der gehört in den Wald und nicht in eine Betonkiste. Die Kinder müssen draußen sein. Strömungslehre lernt man am Bach besser als im Hörsaal der Universität, Physik lernt man draußen generell besser wie drinnen – und das gilt noch viel mehr für die ganze Biologie, das gilt fürs ganze Leben! Wenn ich einen Wunsch fürs Bildungssystem frei hätte, würde ich sagen: Raus! Und diese starren Raum- und Zeiteinheiten aufbrechen, die wir jetzt im Bildungssystem leben.

Bleiben wir beim Thema „Raum“. Manchmal sind Räume unvermeidbar 🙂 Aber auch diesbezüglich haben Sie interessante Forschungen angestellt – Stichwort „Schule ohne Stress“. Was waren Fragestellung und Ergebnisse dieser Studie?

Mit dieser Studie wollten Forscher des Joanneum Research (Graz) wissen, inwiefern sich eine Innereinrichtung aus Holz positiv auf das Lernverhalten und das Wohlbefinden von Schülern auswirkt. Im Zuge der Renovierung einer Hauptschule im Ennstal wurden zwei Klassenräume abweichend vom Standard vom Boden bis zur Decke mit Holzmaterialien ausgestattet. Über ein Schuljahr hinweg verglichen die Forscher Herzschlag und Vagustonus (Spannungszustand des parasympathischen Systems) von Schülern der beiden Holzklassen mit denen der Standardklassen. Pro Klasse nahmen jeweils zehn Schüler teil, jeden zweiten Monat wurde in einem 24-Stunden-EKG ihr Herzschlag gemessen.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Schüler in den Holzklassen die gleichen Konzentrations- und Notenleistungen hatten wie die in den Vergleichsklassen, dabei jedoch im Durchschnitt 8.000 Herzschläge pro Tag weniger benötigten sowie einen für das Herz günstigen höheren Vagustonus aufwiesen! Man sieht also, wie alleine das Naturmaterial schon wesentliche Veränderungen hervorrufen kann. Und natürlich ist völlig klar: je älter Kinder oder dann Jugendliche werden, desto mehr muss drinnen gearbeitet werden. Aber die erste Stufe der Ausbildung, der Kindergarten eben, sollte zu 95 oder 99 Prozent draußen stattfinden können.

Diesbezüglich gibt es aber auch erfreuliche Entwicklungen. In Deutschland beispielsweise gibt es schon weit über 1000 Waldkindergärten …

Das habe ich gehört – aber das gehört noch viel mehr forciert …

Welche Gedanken haben Sie zum zweiten von Ihnen genannten Aspekt – der Zeit?

Zum Aspekt „Zeit“ kann ich mich nur als Privatmann äußern, da habe ich keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu gemacht (lacht) … also als Vater, als Großvater …

Aber im Ernst: diese Einteilung, diese „Zeit-Einteilung“, die Kinder heute erleben – ich vergleiche das mit meiner Kindheit – stimmt mich nachdenklich. Wir haben im Verhältnis zu heute viel weniger Zeit im Ausbildungssystem verbracht und es gab danach dann auch keinen „Freizeitstress“ für Kinder, wo man den ganzen Nachmittag von einem Kurs zum nächsten Förderunterricht und von einer Veranstaltung zur anderen gefahren worden ist. Wir haben nach der Schule schnell die Hausaufgaben gemacht, dann die Schultasche ins Eck geschmissen und sind raus in den Wald! Und nach meinem Empfinden waren wir im Sinne der Potenzialentfaltung überhaupt nicht benachteiligt – überhaupt nicht!

Wir waren von der körperlichen Motorik, von dem, was wir da gehört und von der Musikalität der Vögel mitbekommen haben, ganz und gar nicht benachteiligt. Und wir haben beGRIFFEN, dass wir Menschen ein Teil des Ganzen sind. Und wenn ich beobachte, wie Kinder heutzutage ein „Programm“ absolvieren – das ist absurd! Also dieser Umgang mit Zeit bei jungen Menschen, die ihr Lebenspotenzial entwickeln sollen, ist absurd – weil wir nur quantifizieren. Wir denken da viel zu wenig qualitativ. Und wir sehen ja in einer „Zeit des Burnouts“ und der zunehmenden Überlastung von Menschen, die im Leistungssystem verheizt werden, wie wichtig Ausgleich und Stille und all das ist. Kinder sind keine Mini-Erwachsene, die man möglichst früh in diese Turbo-Zeitdruck-Maschine hineinpressen soll …

Viele Eltern glauben aber immer noch, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr …

Wie aber entstehen innovative Gedanken? Und wo? Dort, wo ich in einem Korsett von Terminen und Druck ersticke? Ein Beispiel, Sie können das ja auf alles andere umlegen: Wenn heute ein Kind sagt, es möchte ein Musikinstrument lernen, dann landet es in der Musikschule – die nach genau demselben linearen Leistungsprinzip funktioniert: dort wird es bewertet, benotet und dann gibt es die Leistungskonzerte und dort sitzt dann die Oma und wehe, wenn es da wieder versagt … also wieder Druck!

Ich glaube, Potenzialentfaltung ist dort möglich, wo es auch die entsprechenden Freiräume dafür gibt, vielleicht überhaupt nur fernab des „Systems“. Schauen Sie: Ich bin als Förster in die Bauwirtschaft gegangen und bin da in eine gnadenlose Wirtschaft hineingekommen, von der ich keine Ahnung hatte. Und ich hatte weder Bautechnik studiert noch etwas ähnliches. Ich hatte als Begleiter „nur“ einen 80jährigen Mann mit reicher Erfahrung – den Opa meiner Frau – der gesagt hat, er zeigt mir, wie es geht. Und ich kann heute, nachdem ich zahlreiche Patente angemeldet und den Holzbau wesentlich mitgeprägt habe, sagen: das ist mir nur gelungen, weil ich keine einschlägige akademische Bildung absolviert habe – da bin ich überzeugt davon! Hätte ich die absolviert, wäre mein Denken so eingeengt worden, dass es mir niemals möglich gewesen wäre, zu diesen Lösungen zu kommen.

Denn wie funktionieren die Ausbildungen in der Bauwirtschaft? Dort beeinflussen große Interessensgruppen die Ausbildung bis in den Lehrplan hinein, dass deren Produkte dann verarbeitet werden. Damit wird aber das ganze System so einengend gestaltet, dass die Menschen, die da rauskommen, auf bestimmte Ideen gar nicht mehr kommen – und das ist eine Tragödie. Und diese Unfreiheit beginnt schon im Kindergarten, das beginnt – genau wie Arno Stern es gesagt hat – schon dort, wo das Kind irgendeinen Strich „verkehrt“ macht, der nicht einem bestimmten Schema entspricht und die Pädagogin dann meint: „Das ist aber nix!“

Was wird für die Gestaltung unserer Zukunft wesentlich werden?

Dazu fällt mir nur ein: Verbundenheit! Oder nennen Sie es mit dem neudeutschen Begriff „Open-Source-Denken“. In einem verbundenen System kriegt man zwingend auch zurück. Die Burgen, die verteidigt werden, das war im Mittelalter, das ist vorbei …

Aktuell dominiert in der Wirtschaft aber das „Burgen-Denken“ …

Man kann aber auch davon ausgehen, dass es diesem neoliberalen Kapitalismus, den wir zur Zeit erleben, systemimmanent ist, dass er sich selbst zerstören wird … einfach aus der Tatsache heraus, dass wir aufgrund der Stoffströme anstehen werden. Wir werden anstehen!

Es wird sich also nur erzwungenermaßen eine andere Form des Wirtschaftens entwickeln?

Es kommt sicherlich nicht auf Grund von Einsicht, weil diese Machtkumulationen, die die Konzerne haben, geben diese freiwillig nicht auf. Die Veränderung kommt auch nicht von „oben“, nicht von Seiten der Politik. Aber ich bin da nicht so pessimistisch, die Veränderung wird kommen, aber wahrscheinlich von unten oder von der Quere …

Die große Frage ist: Kann man die Landung weich gestalten? Und das sehe ich als unsere Verantwortung. Das ist auch mein Motiv, weshalb ich hier mit Ihnen diese Stunde verbracht habe … das ist die Verantwortung, die wir haben. Und die Möglichkeiten für eine weiche Landung gibt es. Ganz sicher!

Noch!

Noch.

Danke für das Gespräch.

Gerne.